In den USA breitet sich seit vergangenem Jahr die Great Resignation aus. Claudia Michalski befasst sich in ihrer Kolumne mit der Frage, weshalb der US-Trend auch die deutsche Medienbranche alarmieren sollte.
Spätestens wenn Entwicklungen eigene Namen bekommen, muss man sie ernst nehmen. Und oft empfiehlt es sich, sie im Auge zu behalten, bevor sie den eigenen Markt oder die eigene Branche erreichen. Die Great Resignation ist so ein Fall. 4,5 Millionen Menschen in den USA warfen allein im November vergangenen Jahres ihren Job hin. Freiwillig. Der vorübergehende Höhepunkt eines monatelangen Trends.
Was als statistischer Ausreißer begann, ist ein handfestes Problem geworden, auf das sich Arbeitgeber auch in Deutschland vorbereiten sollten. Denn hier, wo der Fachkräftemangel bereits für Probleme sorgt, kann man eine Kündigungswelle erst recht nicht gebrauchen. Das gilt auch für und vielleicht sogar besonders für Medienunternehmer. Bei den Gründen für das Phänomen sollten sie sich angesprochen fühlen. Die hat der Universitätsprofessor Anthony Klotz, der den Begriff mit Blick auf den Arbeitsmarkt verwendet hat, so umrissen:
„Es geht nicht darum, einen neuen Job zu suchen oder einfach das eigene Unternehmen zu verlassen. Es geht darum, eine große Entscheidung zu treffen, um Kontrolle über das Arbeits- aber auch das Privatleben zu bekommen.“
Mit anderen Worten: Es geht um Selbstbestimmung, um Work-Life-Balance und um die Suche nach sinnstiftendem Handeln. Es geht also um Dinge, nach denen der Drang im Mediengeschäft groß ist, die zugleich aber schwer unter einen Hut zu bringen sind. Das MIT Sloan Management Review lieferte gleich weitere Gründe zur Sorge mit. Denn Mitarbeiter gehen, weil
► sie eine toxische Unternehmenskultur erleben,
► Neu- und Umstrukturierungen die Jobsicherheit gefährden,
► der Innovationsdrang Druck und Stress bedeutet,
► sie Wertschätzung und Feedbackkultur vermissen.
Weitere Zahlen unterstreichen die Gefahr. Was die Fluktuation während der Great Resignation angeht, spielt die Medienbranche bereits in den Top-10-Industrien mit, erreicht ähnliche Werte wie die Hotellerie oder Finanzdienstleistungen. Nur Handel, Unternehmensberatung und die Internet-Branche trifft es deutlich härter.
Nicht nur die Pandemie zwingt zur Neuorientierung
Der Trend beschreibt aber nicht nur das Handeln von regulären Arbeitnehmern – auch mit Blick auf Führungs- und Spitzenkräfte sollten Unternehmer gewarnt sein. Angestellte im Management führen die Bewegung nämlich an. Die Kündigungstreiber – besonders Umstrukturierungen und Druck durch Innovation (aber auch dadurch verbundene Ziele) betreffen und belasten nämlich auch sie. Das zeigen auch die bei mir eingehenden und steigenden Beratungsanfragen.
Klar, die Pandemie hat viel Zeit zum Nachdenken gegeben. Sie ist aber weniger ein Grund als vielmehr ein Anlass. Die Probleme liegen woanders. Manager haben trotz einer vermeintlich hochrangigen Position zu wenig Gestaltungsspielraum. Gesellschafter und Aufsichtsräte legen ihnen die Daumenschrauben an. Die Gewinnmaximierung um jeden Preis treibt in der Corona-Zeit besondere Blüten. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung:
In einem Fall wurde ein Geschäftsführer indirekt aufgefordert, unter Ausnutzung der großzügigen Kurzarbeiter-Regelung seine Mitarbeitenden staatsfinanziert trotzdem arbeiten zu lassen. Man nennt es auch Sozialbetrug. Plötzlich belastet die Kurzarbeit nicht mehr nur die Betroffenen, sondern auch den Chef. Wer ein anderes Wertesystem hat (und das sind zum Glück sehr viele), wird sich auf solch einen gefährlichen Deal nicht einlassen und sieht sich nach einer beruflichen Veränderung um.
Viele hatten während der Corona-Pandemie die Hoffnung, dass die Paradigmen der Wirtschaft überdacht werden würden: Muss es immer höher, schneller, weiter sein oder ist es nicht viel sinnvoller, den Klimaschutz voranzustellen und all die schönen Unternehmenswerte, die auf den Firmen-Websites verbreitet werden, tatsächlich auch zu leben?! Auf vielen Websites auch in der Medienbranche werden die Mitarbeitenden demonstrativ in den Mittelpunkt gestellt. Wie wird das in der Praxis tatsächlich gelebt?
Das Auseinanderfallen von Werten und Handeln wird in der Psychologie als kognitive Dissonanz bezeichnet – und nach meinem Eindruck sind besonders viele Führungskräfte nicht mehr bereit, diese Dissonanz länger hinzunehmen. Sie schieben zum Teil schon seit Jahren Frust über die zweifelhaften Unternehmensziele und empfinden jetzt in der Pandemie: das Maß ist voll. Die Frustrationstoleranz in den Führungsetagen ist ausgereizt.
In der Medienbranche kommt noch ein Phänomen hinzu: Seit Jahren wird Personal eingespart, eine Restrukturierungswelle folgt der nächsten. Mit den neuen digitalen Geschäftsmodellen erwirtschaften Medien nur sehr selten so viel Profit wie in früheren Zeiten. Obwohl dieser Zusammenhang hinlänglich bekannt ist, wird von den Gesellschaftern trotzdem ein ähnlich hoher Profit erwartet, sodass der Performance-Druck auf das Management extrem hoch ist. Die Aufgabe scheint nahezu unlösbar und treibt einen nach dem anderen aus der Führungsetage – zum Teil in den nächsten ähnlichen Job, zum Teil aber eben auch in ganz anders gelagerte Berufstätigkeiten. Viele machen sich selbstständig (ich weiß, wovon ich rede), andere wiederum wechseln komplett die Branche und suchen bewusst eine Aufgabe in einer aufstrebenden, auf Wachstum ausgerichteten Industrie. Frustriert von jahrelangen Sparrunden und unerreichbaren Jahreszielen, empfinden viele den Ausstieg aus der Medienbranche als Befreiung.
Das gilt übrigens gleichermaßen im Management der Verlage wie auch in den redaktionellen Bereichen. So haben zum Beispiel viele schreibende ehemalige Kolleginnen und Kollegen die Seite gewechselt und sind Unternehmenssprecher geworden. Oder sie unterstützen namhafte Beratungsunternehmen – oder haben selbst Beratungsunternehmen aufgebaut aufgrund ihrer Kompetenzen, die sie in den Redaktionen bewiesen haben.
Ein Umdenken muss her – auch Eigentümer sind gefragt
Eine hohe Wechselbereitschaft ist gefährlich. Die Besten gehen erfahrungsgemäß zuerst. Daher gilt es, diese Verluste zu vermeiden. Das wäre vor allem möglich durch:
► Offene Kommunikation darüber, was im Unternehmen falsch läuft
► Eine realistische und weniger überzogene Budgetplanung
► Eine tatsächlich an den Werten orientierte Unternehmensführung
Um die Great Resignation in den Führungsetagen aufzuhalten, ist es nach meiner Einschätzung erforderlich, die Unternehmenskultur zu ändern. Nehmt die Überdosis an Profitmaximierung raus, kommt auf den Boden und bleibt realistisch. Die Mitarbeitenden und allen voran die Führungskräfte werden es danken – durch Loyalität, Freude an der Arbeit und dadurch auch mit besseren Ergebnissen. Garantiert.
Claudia Michalski
Geschäftsführerin
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