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OMC Trends - "Aus freien Stücken?" - Claudia Michalski

Ein Artikel von Daniela Furkel, Chefreporterin des Personalmagazins

Wenn Unternehmen Personal ab- oder umbauen müssen, bieten Freiwilligenprogramme die Möglichkeit, die Mitarbeiter miteinzubeziehen. Das Unternehmen sagt nicht: „Du musst gehen!“, sondern „Willst du gehen?“. Aber richtig freiwillig ist die Entscheidung nicht. Warum Freiwilligenprogramme dennoch viele Vorteile bieten.

Konkrete Zahlen gibt es nicht. Doch immer mehr Unternehmen digitalisieren, modernisieren und globalisieren und müssen sich in diesem Zusammenhang von Mitarbeitern trennen, die dafür nicht ausreichend qualifiziert sind. „Das geschieht derzeit nicht unbedingt in großen, spektakulären Aktionen, sondern eher in einem ständigen Optimierungsprozess“, sagt Claudia Michalski, gesch.ftsführende Gesellschafterin der OMC Open Mind Management Consulting GmbH. „Gerade die großen Unternehmen sind permanent im Umbau“, ergänzt Manfred Bertschat, Gesch.ftsführer der Bertschat & Hundertmark Consult Unternehmensberatung und Vorsitzender des Fachverbands Outplacementberatung im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU).

In der aktuellen Wirtschaftslage bedeutet das nicht zwangsweise, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiterzahl reduzieren. Sie brauchen neue Qualifikationen und trennen sich gleichzeitig von Mitarbeitern mit veraltetem Know-how. „Die Kosten der Belegschaften vergleicht man bildlich mit Badewannen, die voll sind und nicht voller werden dürfen. Sicherlich investieren die Unternehmen mehr in die berufliche Aus- und Weiterbildung, weil sie die gesuchten Profile kaum noch am Markt finden. Aber es werden zahlreiche Arbeitsplätze redundant und es gibt viele Beschäftigte, die nicht digitalisierungsaffin oder -fähig sind“, sagt Stefan Detzel, Geschäftsführer der EL-Net Innovation GmbH.

Freiwilligkeit geht vor

Das führt dazu, dass immer mehr Unternehmen versuchen, den notwendigen Veränderungen im Personalbestand mit Freiwilligenprogrammen zu begegnen. „Diese werden oftmals im ersten Schritt durchgeführt, bevor das Unternehmen härtere Maßnahmen ergreift und betriebsbedingt kündigt“, sagt Manfred Bertschat. „Betriebsbedingte Kündigungen sind wesentlich schwerfälliger und nehmen erheblich mehr Zeit in Anspruch“, ergänzt er. Damit spricht er einen grundlegenden Vorteil von Freiwilligenprogrammen an: Sie sind schnell. „Mit einem gut aufgesetzten Freiwilligenprogramm, das attraktive Anreize für die Mitarbeiter und eine Sprinterprämie für eine schnelle Entscheidung enthält, hat der Arbeitgeber schnell Klarheit. Man trifft sich nicht vor Gericht und hat lange juristische Schriftsätze hin- und herzuschicken“, erklärt Claudia Michalski.

Nach außen leidet das Arbeitgeberimage nicht, weil es sich nicht um eine Entlassungswelle handelt – der angesprochene Mitarbeiter kann gehen, aber muss nicht. Nach innen wird ein Freiwilligenprogramm als sozialverträglich angesehen und sorgt für weniger Unruhe als andere Maßnahmen.

Auch die Erfolge sind gut: „Wenn sie gut vorbereitet ist, führt eine Freiwilligenmaßnahme zu einer hohen Konsensrate. Mitarbeiter, die angesprochen werden, nehmen ein solches Angebot zum überwiegenden Teil an, wenn sie die entsprechenden Perspektiven aufgezeigt bekommen“, so Manfred Bertschat. „Ein weiterer Vorteil ist, dass das Unternehmen mit einem Freiwilligenprogramm auch Mitarbeiter erreichen kann, die ihre Stärken am aktuellen Arbeitsplatz nicht voll ausspielen können, indem es sie gezielt anspricht. Diese Mitarbeiter sind meist selbst unzufrieden und nehmen die Angebote oft als Chance wahr, um sich beruflich neu zu orientieren“, so Stefan Detzel.

Mit einem Freiwilligenprogramm kommuniziert das Unternehmen: Es wird nicht betriebsbedingt gekündigt. Die bereits erwähnte Abwendung eines Imageschadens ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite lautet: Hat ein Betrieb eine Beschäftigungsgarantie ausgesprochen, ist seine Beweglichkeit relativ eingeschränkt. „In diesem Fall bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als Mitarbeiter persönlich anzusprechen“, so Stefan Detzel. Auch eine Sozialauswahl müsse nicht durchgeführt werden. „Die Mitarbeiter können unabhängig von Alter und Schutzstatus angesprochen werden“, sagt Claudia Michalski.

Doppelte Freiwilligkeit

Prinzipiell wird zwischen offenen und selektiven Freiwilligenprogrammen unterschieden. Bei offenen Programmen darf jeder Mitarbeiter gehen, abgesehen von denjenigen, die auf einer Key-Player-Liste stehen. Bei selektiven Programmen definiert der Arbeitgeber Mitarbeiterkreise, die angesprochen werden. Welche Vorgehensweise eher infrage kommt, ist abhängig von der jeweiligen Herausforderung und ökonomischen Situation. Allerdings gilt die Faustregel: Je freiwilliger, desto weniger kann das Unternehmen unerwünschte Effekte steuern. „Häufig wird deshalb eine Direktansprache gewählt, weil der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeitergruppen ansprechen will, zum Beispiel Personen mit bestimmter Qualifikation oder an einer bestimmten Lokalität“, berichtet Stefan Detzel.

Es gilt das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit: Der Arbeitgeber unterbreitet das Angebot, dass der Mitarbeiter aus dem Unternehmen austreten kann, und der Mitarbeiter überlegt, ob er das annehmen will. Der Arbeitgeber kann sein Angebot auch wieder zurückziehen, wenn beispielsweise Budgets ausgeschöpft sind oder wenn jemand gehen will, der versehentlich nicht auf der Sperrliste stand. „Solange beide den Aufhebungsvertrag noch nicht unterschrieben haben, kann das durchaus passieren“, sagt Manfred Bertschat. Doch die möglichen Folgen sind nicht unbedingt positiv: Der Mitarbeiter ist enttäuscht, das Verhältnis zum Vorgesetzten wird gestört, der Prozess wird gelähmt.

„Es klingt so gut mit der doppelten Freiwilligkeit, aber das Unternehmen kann nur unter größten Nöten jemanden ablehnen“, so Stefan Detzel. Claudia Michalski sieht auch keine gute Zukunft des Mitarbeiters im Unternehmen: „Alle wissen Bescheid, dass die Person eigentlich gehen wollte. Da stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, sie aufzuhalten. Wer weg will, geht sowieso, unter Umständen auch ohne hohe Abfindung.“

Ein neues Ziel finden

Die Abfindung ist ein wichtiger Entscheidungsfaktor. Manchmal wird zusätzlich eine Sprinterprämie gezahlt. „Sie ist meist mit einem Faktor versehen, um innerhalb einer kürzeren Entscheidungsfrist eine Entscheidung herbeizuführen. Das können zehn Prozent der Abfindungssumme sein, aber auch 20 oder 30 Prozent, die zeitlich befristet on top ausgezahlt werden“, so Manfred Bertschat. Aus seiner Erfahrung ist das Finanzielle aber nicht der entscheidende Faktor dafür, dass der Mitarbeiter einen Aufhebungsvertrag unterschreibt. Ausschlaggebend sei vielmehr das Angebot an weiteren Instrumenten, zu dem auch eine Outplacementberatung gehören sollte. „Mitarbeiter in Freiwilligenprogrammen brauchen ein neues Ziel, denn sonst nehmen sie nicht daran teil. Wer nicht weiß, wohin er geht, bewegt sich im Zweifelsfall gar nicht“, so Claudia Michalski.

Sinnvoll ist eine zweiteilige Beratung, die im ersten Schritt eine Entscheidungshilfe für die Mitarbeiter darstellt: Soll ich mich an dem Freiwilligenprogramm beteiligen oder nicht? „Das sind nur einige Stunden, aber die Mitarbeiter fühlen sich dann sicherer, wenn sie mit einer neutralen Instanz gesprochen haben, die keine Eigeninteressen hat, den Arbeitsmarkt kennt und einschätzen kann, wie die Chancen des jeweiligen Mitarbeiters auf dem Arbeitsmarkt sind. Es geht darum, im Vorfeld eine Risikoabschätzung vorzunehmen“, erklärt sie.

Ergebnisoffen und vertraulich

Einen zentralen Aspekt der Beratung hat Claudia Michalski schon genannt: Sie muss ergebnisoffen sein. Der Berater muss glaubhaft vermitteln, dass er neutral ist und dass das Gespräch absolut vertraulich stattfindet. Das ist dann gewährleistet, wenn die persönlichen Daten derjenigen, die diese Orientierungsberatung in Anspruch nehmen, keinesfalls an den Arbeitgeber übermittelt werden. „Wir schließen zum Beispiel Diskretionsverträge ab, um die Glaubwürdigkeit zu unterstützen“, sagt sie. „Wichtig für die Neutralität ist auch die Rollenteilung: Der Placementberater darf nicht die Arbeitgeberseite einnehmen und die Veränderungsbotschaft übermitteln. Das ist Sache der Führungskräfte“, ergänzt Manfred Bertschat.

„Wir sind im Auftrag der Mitarbeiter da, um für jeden die passende Lösung zu finden. Wer die Fähigkeit hat zu wechseln, erhält unsere Unterstützung. Merken wir, dass sich jemand draußen schwertun wird, müssen wir davon abraten“, sagt Stefan Detzel: „Der Mitarbeiter braucht ein vertrauliches Umfeld, um über seine Themen zu sprechen. Denn er muss zunächst auch die Botschaft des Arbeitgebers verarbeiten. Niemand geht wirklich freiwillig, nur die fünf oder zehn Prozent, die sowieso schon auf gepackten Koffern sitzen.“ Insbesondere die Mitarbeiter in den Altersgruppen von 35 bis 55 Jahren brauchen eine Perspektive. „Der Arbeitgeber zeigt seine Wertschätzung durch ein Angebot eines Placements zur beruflichen Neuorientierung und erhöht die Akzeptanz“, so Manfred Bertschat.

Hat sich ein Mitarbeiter dazu entschieden, das Unternehmen zu verlassen, startet die eigentliche Outplacementberatung. Diese beginnt mit einer Standortbestimmung: Wo stehe ich? Was kann ich? Es folgen die Zielfindung und die Marktanalyse. Anschließend wird ein Bewerbungsprofil erstellt und eine Besetzungsstrategie ausgearbeitet. Schließlich erfolgt die Umsetzungsbegleitung. Einige Beratungen begleiten sogar noch durch die Probezeit beim neuen Arbeitgeber.

Im Durchschnitt sind solche Beratungen nach etwa sechs Monaten erfolgreich. Experten und Fachkräfte finden derzeit oft schon nach drei Monaten eine neue Position. Je höher jemand in der Hierarchie ist, desto länger kann die Besetzung dauern. „Bei Geschäftsführern und Vorständen kann es auch bis zu einem Jahr, in Einzelfällen sogar länger dauern“, so Claudia Michalski.

Vorraussetzungen für den Erfolg

Ein Freiwilligenprogramm funktioniert nur so gut, wie es geplant ist. Das Unternehmen muss sich zunächst fragen: Was tun wir? Warum findet die Maßnahme statt? Sind wir organisatorisch vorbereitet? Sind die Führungskräfte in der Lage, die Botschaft zu kommunizieren? Diese Analyse führt schließlich zu einer Palette an Maßnahmen, die sich anbieten. „Freiwilligenprogramme müssen gemanagt werden. Diese Arbeit ist die wichtigste im gesamten Prozess“, ist die Erfahrung von Manfred Bertschat.

Auch die Beteiligung des Betriebsrats ist in den meisten Fällen nötig. „Wenn der Personalabbau den Umfang einer Betriebsänderung einnimmt, muss der Arbeitgeber nach § 111 Betriebsverfassungsgesetz über die Veränderung informieren“, erklärt er. „Es ist wichtig, frühzeitig auf die Betriebsräte zuzugehen und dann eine Vereinbarung zu schließen, wie die Betriebsänderung durchgeführt wird – einen sogenannten Interessenausgleich.“ In den meisten Fällen führe das zu einer hohen Akzeptanz bei den Betriebsräten. „Sie wissen, dass bei Freiwilligenprogrammen für die Mitarbeiter wesentlich bessere Bedingungen ausgehandelt werden können, als wenn das konfrontativ abläuft“, sagt er.

Die kritische Zeit danach

Ein Aspekt, der häufig vergessen wird, sind die Mitarbeiter, die im Unternehmen bleiben. Nach einem solchen Programm sind die Strukturen in einem Unternehmen anders als zuvor. „Oft wird dabei unterschätzt, welchen Effekt das auf die verbleibenden Mitarbeiter hat, die sich neu justieren müssen. Sie haben sich zum Bleiben entschieden, finden aber nicht mehr das gleiche Unternehmen vor“, gibt Claudia Michalski zu bedenken. Deshalb rät sie allen Unternehmen, die Maßnahmen im Nachgang mit Beratung und Coaching als Personalentwicklungs- und Teambuildingmaßnahmen zu unterstützen. „Bei den verbleibenden Mitarbeitern passiert so viel, dass es wichtig ist, sie neu zu motivieren und neu zu Teams zusammenzuschweißen.“

 

Personalmagazin Heft 04/2019, Haufe Verlag