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OMC inside Claudia Michalski

„Diese Massenkündigungen per Video sind wirklich knüppelhart“

Interview. Mit der Pandemie hat sich eine Praxis entwickelt, die viele schockiert:
Entlassungen per Videocall. Geht es anders? Eine „Trennungsberaterin“ klärt auf und gibt Tipps.

3. April 2020 | Anja Francesca Richter

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Kündigung: Nicht wenigen Mitarbeitern dürfte nach Videocalls mit (Ex-)Chefs nach Heulen zumute sein

Die Nachricht verbreitete sich schnell über die Startup-Welt hinaus: Das Mobility-Unternehmen Bird, bekannt für den Verleih von E-Scootern, entlässt 400 Mitarbeiter und damit 30 Prozent seiner Belegschaft – und zwar per Video-Call. Was nicht bedeutet, dass sich der Chef des US-amerikanischen Unternehmens persönlich gezeigt hätte. Statt Bewegtbild ließ Travis VanderZanden die Kündigungsnachricht per Ton verlauten. Nach Protest erklärte er über Twitter später, dass die Art und Weise wohl nicht die beste Lösung gewesen sei, er jedoch die Privatsphäre des Einzelnen habe schützen sollen. Im Rückblick sei ein persönliches Gespräch mit jedem Mitarbeiter der bessere Weg gewesen.

Dem stimmt Claudia Michalski zu. Die 54-Jährige ist geschäftsführende Gesellschafterin der OMC Open Mind Management Consulting mit Sitz in Berlin und berät Menschen dabei, sich nach einer (freiwilligen) Kündigung neu zu positionieren. Mit Workshops und als Beraterin unterstützt sie Führungskräfte außerdem bei dem Prozess, sich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu trennen – was in Zeiten der Corona-Krise leider zum Alltag vieler Unternehmen gehört.  

 
Claudia, wie können Gründer ihre Angestellten derzeit so „angenehm“ wie möglich entlassen?

Kündigungen sind unvermeidlich in manchen Situationen. Sie sollten jedoch menschlich so wertschätzend wie möglich passieren, wenn auch in der Sache konsequent. Der Geschäftsführer muss seinem Mitarbeiter klarmachen: Es geht jetzt gerade nicht anders. Trotzdem schätze ich dich und deine Arbeit. Das ist auch wichtig als Signal an diejenigen, die im Unternehmen bleiben.

Das scheint am Beispiel von Bird oder auch anderen Firmen, die ihre Mitarbeiter per vorbereitetem Videocall entlassen, nicht der Fall zu sein.

Das ist definitiv nicht die Art, wie ein solcher Prozess aussehen sollte. Idealtypisch läuft die Kündigung über ein persönliches Gespräch ab, also auch nicht telefonisch und schon gar nicht zwischen Tür und Angel. Der Gesprächsrahmen sollte der Sache würdig sein. Üblicherweise sitzen auch nicht nur Chef und Mitarbeiter oder Mitarbeiterin zusammen, sondern es wohnt auch ein Personaler dem Gespräch bei. Sprich, von Unternehmensseite sollten zwei Personen beteiligt sein: eine eher funktional, die von HR-Seite erklärt, wie der weitere Ablauf aussieht, und der direkte Vorgesetzte oder Geschäftsführer, der schlussendlich die Kündigung ausspricht und begründet.

Ein persönliches Treffen erscheint aufgrund der Lage kaum möglich. Was nun?

Derzeit müssen alle flexibel agieren, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gekündigt werden. Trotzdem darf dabei, wie ich schon angesprochen habe, nicht sämtliche Wertschätzung den Bach heruntergehen. 400 Mitarbeitern per Zoom-Call die Kündigung schicken – das ist unglaublich, das ist sehr bitter. Auch in einer Situation, in der ein Handschlag nicht möglich ist, würde man von einem Unternehmen erwarten können, dass es persönliche Anrufe unternimmt – per Videoschalte mit Hilfe von Zoom, Facetime oder Skype. In so einem Gespräch sollte dem Angestellten wenigstens kurz erklärt werden, dass es jetzt leider ganz schnell gehen muss – wegen Corona und weil gerade der letzte Tag des Monats anstand. Dadurch haben sich wahrscheinlich auch noch mal viele Unternehmen mit dem Zustellen der Kündigungen auch per Post beeilt. Denn eine Kündigung muss nachweisbar zugegangen sein, um wirksam zu werden.

Wann dürfen Unternehmen denn jetzt überhaupt kündigen: wenn sie wirklich in finanziellen Schwierigkeiten stecken oder auch, wenn sie eine (Massen-)Entlassung als Vorsichtsmaßnahme sehen?

Für betriebsbedingte Kündigungen gelten Regelungen. Sie dürfen ausgesprochen werden, wenn es für das Unternehmen keinen anderen Ausweg gibt. In vielen Gastronomiebetrieben, Event-Agenturen oder bei Reiseveranstaltern sieht die Situation nun genau so aus, dass die Mitarbeiter auch mit Kurzarbeit nicht gehalten werden können. Insofern können Gekündigte in diesem Fall nicht viel gegen den Verlust ihres Jobs tun.

Info: Die gesetzliche Kündigungsfrist beträgt vier Wochen. Bei höheren Positionen wird üblicherweise auf drei Monate gesetzt. In Führungspositionen sind es in der Regel sechs Monate oder noch mehr.

Trotzdem ist das Wie, also wie die Kündigung geschieht, auch hier ein entscheidender Faktor. Jeder hat das Recht darauf, individuell zu erfahren, wieso er seine Arbeit verloren hat. Von Massenkündigungen in dieser unpersönlichen Form habe ich vorher noch nie gehört. Das ist knüppelhart. Immerhin stellt so ein Vorgang ein lebensbestimmendes Ereignis dar. Vor allem, da es in Zeiten von Corona vermutlich nicht einfach werden wird, eine neue Stelle zu finden. Wer keine Rücklagen hat, steht nun wirklich vor Problemen.

Wie sieht es mit Arbeitslosengeld aus?

Sofortiges Arbeitslosengeld gibt es nur gesetzt den Fall, dass dem Arbeitnehmer gekündigt wurde. Hat er einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, sieht die Sache eventuell anders aus. Womöglich gilt dann eine Arbeitslosengeld-Sperre von drei Monaten. Bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung fällt aber in Deutschland niemand ins Bodenlose. Trotzdem macht das Arbeitslosengeld nur 60 Prozent des vorherigen Nettogehalts aus.

Wie steht es denn um Personen, die schon einen Arbeitsvertrag unterschrieben hatten und jetzt bei einem neuen Arbeitgeber anfangen wollten, der sie aber wegen der Krise gleich wieder entlassen hat?

Jeder normale Arbeitsvertrag enthält eine Probezeit. In dieser Zeit sieht die Kündigungsfrist anders aus und liegt nicht bei vier Wochen, sondern nur bei 14 Tagen. Wenn ein Arbeitsverhältnis gekündigt wird, bevor es richtig begonnen hat, sollten Arbeitnehmer prüfen, ob es in ihrem Vertrag Klauseln gibt, die besagen, dass der Arbeitgeber zumindest ein erstes Gehalt zahlen muss. Das ist der Fall, wenn die Kündigung vor Arbeitsantritt explizit ausgeschlossen ist. Es kommt also im Zweifel auf die individuellen Verträge an.

Kann sich ein Arbeitnehmer denn gar nicht gegen die Kündigung wehren, vor allem in diesen besonderen Umständen?

Da lässt sich keine Pauschalaussage treffen. Ein Arbeitsrechtler müsste prüfen, ob sich das Unternehmen tatsächlich wegen Corona in der misslichen Lage befindet, die betriebsbedingte Kündigung also berechtigt ist oder nicht. Ehrlich gesagt glaube ich: Wer als Chef zu solchen harten Mitteln greift, dem steht das Wasser vermutlich ziemlich bis zum Hals und der sieht auch keine andere Chance. Denn nicht alle Arbeitgeber sind Unmenschen, gerade in dieser Zeit haben sie eine hohe Verantwortung und sind sich dessen meist auch sehr bewusst.

Manchem Chef wird es eben deswegen schwerfallen, einen langjährigen Mitarbeiter zu entlassen. Oder einen, der Kinder hat oder älter ist. Wie bereitest du die Vorgesetzten auf diese schwierigen Gespräche vor?

Ich gehe immer erst mal davon aus, dass die Kündigung wirklich unvermeidbar war. Wenn alles getan wurde, muss der Chef rein betriebswirtschaftlich gesehen kein schlechtes Gewissen haben. Denn die Kündigungen sind nötig, um das gesamte Unternehmen zu retten. Gekündigt würde demjenigen, den es trifft, dann also ohnehin. Ich rate immer dazu, das Gespräch recht kurz zu halten, ohne auf Schuld und Sühne einzugehen und ohne sich auf große Diskussionen einzulassen. Die Botschaft sollte klar rübergebracht werden. Außerdem sollte ein Chef ein Angebot zum späteren zweiten Gespräch unterbreiten. Denn im eigentlichen Kündigungsgespräch ist der Angestellte oft so schockiert, dass er gar nicht mehr weiter zuhören kann. In einem Folgegespräch, wenn sich der Arbeitnehmer gefangen hat, können dann die Konditionen und der weitere Ablauf besprochen werden. Das zweite Gespräch wird häufig von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin aus dem HR geführt.

Ein Vorgesetzter, der vielleicht 50 oder mehr Menschen entlassen muss, hat unter Umständen nicht die Zeit, jeden persönlich zu verabschieden. Was ist in dem Fall zu tun?

Er könnte zum Beispiel einen Stellvertreter mit der Aufgabe betrauen. Hauptsache, die Kündigung erfolgt persönlich, also in Corona-Zeiten dann über ein Video- oder mindestens ein Telefongespräch. Das ist auch eine Gelegenheit, sich als Vorgesetzter noch mal beim Mitarbeiter zu bedanken, also eine positive Botschaft mitzugeben, die da heißen könnte: „Wir haben immer gerne mit dir zusammengearbeitet, und es tut uns persönlich leid, dich gehen lassen zu müssen. Aber uns sind gerade die Hände gebunden.“ Solche Worte sind, gerade wenn man sich länger kennt oder intensiv zusammengearbeitet hat, ganz wichtig. Denn das Unternehmen ist – gerade in der Startup-Welt – ja oft wie eine zweite Familie.

Was ist eigentlich, wenn ein Arbeitnehmer kündigen will – wie fair ist es, seinen Arbeitgeber jetzt im Stich zu lassen?

Mit moralischen Gründen an eine berufliche Veränderung heranzugehen ist immer schwierig. Denn dann dürfte man aus Loyalität ja nie kündigen. In der Krise ist es für Unternehmen allerdings vielleicht gar nicht so schlimm, wenn ein Arbeitnehmer geht, so spart es Kosten. Allerdings glaube ich kaum, dass viele Arbeitnehmer jetzt freiwillig gehen. Denn auf dem Arbeitsmarkt wird nun sehr wenig eingestellt.

Und eine Kündigung zurückzunehmen geht wahrscheinlich auch nicht.

Rechtlich ist das schon möglich. Rein psychologisch gesehen ist es aber schwierig, so zu tun, als wäre nichts gewesen. Wenn das Wort Kündigung einmal im Raum stand, egal von welcher Seite, dann ist es nicht mehr wegzudenken. Käme ein Angestellter wieder zurück, würde das Unternehmen ja auch wissen, dass es nur zweite Wahl ist, weil der ehemalige Mitarbeiter nichts Besseres gefunden hat.

Zumal die Aussichten darauf eh schlecht stehen, denn die Kündigungswelle hat wahrscheinlich gerade erst begonnen, oder?

Ja, ich glaube, dass das jetzt erst der Anfang ist. Ich denke auch, dass die Unternehmen, die jetzt, mit Beginn der Krise, gleich kündigen, schon länger Probleme hatten. Denn ein gut aufgestelltes Unternehmen – und ich rede nicht von Solo-Selbstständigen, die keine Aufträge mehr bekommen – muss auch ein paar Wochen Krise aushalten können. Wenn nicht, heißt es, dass in der Firma weit vor der Krise etwas im Argen lag, Corona also nicht die Ursache ist. Inwiefern Unternehmen jetzt versuchen, die Pandemie als Ausrede zu nehmen, um längst überfällige Kündigungen auszusprechen – da maße ich mir kein Urteil an. Aber unwahrscheinlich ist es nicht.

Quelle: gruenderszene.de

Geschäftsführerin, Claudia Michalski, im Januar 2017

Claudia Michalski
Geschäftsführerin